Einsteigertipps - meine sartorialen Fehler der ersten Jahre

Anzugista

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Ihr Lieben,

nachdem ich seit etwa 1,5 Jahren im Forum – in erster Linie – mitlese, habe ich mich gefragt, was ich zurückgeben könnte. Auch wenn ich sicher noch am Anfang meiner sartorialen Reise stehe, so liegen zugleich die schlimmsten Anfängerjahre hinter mir. Was liegt da näher, als die Fehler dieser Zeit zu schildern, damit andere „Neueinsteiger“ sie verhindern können.

Nun denn, auf in die Vergangenheit:

Do. Your. Research.

So verführerisch es sein mag, die ersten Gehälter für in ihrer Gesamtheit zur Befüllung des Kleiderschranks einzusetzen – lasst es bleiben. Was ich an Klebeschuhen, schmalreversigen und viel zu engen Hugo-Anzügen und scheußlichen Krawatten aus den ersten beiden Jahren aussortieren musste, wäre viel besser investiert gewesen, wenn ich mich erstmal ein wenig „schlau“ gelesen und mir Zeit gelassen hätte. Auch einige höherpreisige Investitionen liegen nur noch im Schrank.

Start slowly.

Ihr könnt soviel lesen und Youtube schauen, wie ihr wollt. Der Anfang bleibt fehlerhaft. Weil man bestimmte Details doch übersieht, in meinem Fall z. B. zu kurze Hemdärmel, zu enge Sakkos, zu „mutige“ Krawatten, unpassende Kragenformen u.v.m. Natürlich braucht ihr einen Grundstock, an dem ihr nicht vorbei kommt, aber haltet diesen quantitativ auf dem absoluten Minimum. Und dann langsam ergänzen. Langsam. Irgendwann fällt Euch auf, dass die Olymp-Hemden, bei denen ihr geglaubt habt, dass sie perfekt sitzen, zu kurze Ärmel haben, Euch der Kragen nicht gefällt und Euch das Olymp-Logo an der Manschette nervt, weil das jeder Zweite im Betrieb trägt. Dass die teuren Krawatten aus dem Sale viel zu extravagant für den Arbeitsalltag sind. Und außerdem zu schmal. Und andere zu breit. Nochmal: lasst Euch Zeit.
Dazu gehört auch, nicht bei allen Artikel gleich Top-Qualität zu kaufen. Was bringt Euch der erste Anzug für 1.000 Euro plus, wenn ihr nach drei Monaten feststellt, dass ihr ihn nie wieder tragen werdet? Ausnahme sind mE Schuhe – siehe nächster Punkt.

Quality Shoes First. Quality Belts second.

Am wenigsten Fehler könnt ihr bei Schuhen machen. Der klassische Cap-Toe-Oxford in schwarz gehört in jeden Kleiderschrank und Eure Füße werden nicht mehr signifikant wachsen oder schrumpfen. Gleichzeitig hält ein guter Schuh bei entsprechender Pflege sehr lange. Dazu noch ein schlichtes Exemplar in braun und zwei passende Gürtel und schon kommt ihr wunderbar durch die ersten Monate oder gar Jahre – mit Tretern und Gürteln, die ihr auch zehn Jahre später noch stolz durch die Gegend tragen werdet.

Start simple. Unicolor wins.

Natürlich bin auch ich ein Riesenfan der sartorialen Volltreffen von Mr. Gentlemans Gazette und gelungenen Kombis aus Einstecktuch, Krawatte und Hemd in verschiedenen Mustern. Nachmachen kann ich es bis jetzt nicht und wenn ich es versuche, geht es schief. Startet auch hier langsam, mit einfarbigen Hemden in weiß und blau und einfarbigen Krawatten. Simpel kann fantastisch aussehen – und vor allem besser, als misslungene Experimente mit zu vielen Mustern. Wenn ihr erste Muster reinbringen wollt, startet mE entweder mit Krawatte ODER Einstecktuch. Das gibt Euch auch Zeit, einen eigenen Stil zu entwickeln und Schritt für Schritt mutiger zu werden. Ich merke persönlich, dass ich aktuell sogar wieder viel zu Unicolor zurückgehe, weil ich die Eleganz der Schlichtheit auch einfach sehr gerne mag. Dafür entdecke ich langsam eine Liebe für peaked labels. Kommt Zeit, kommt individueller Stil.

Found a wardrobe staple? Grab a couple!

Je stärker sich Euer Gefühl für den richtigen „Fit“ eines Kleidungsstücks über die Jahre entwickelt, desto penibler werdet ihr bei der Auswahl. Das heißt aber auch, dass es immer schwieriger wird, Kleidungsstücke zu finden, die richtig passen. Wenn ihr also mal über eine Chino stolpert, nach monatelanger Suche, die wirklich gut sitzt – kauft gleich 2 oder 3 in klassischen Farben. Denn kaum ist die Kollektion aus dem Laden und die neue Saison beginnt, ändern sich nicht selten auch die Schnitte und die perfekt sitzende Chino ist nicht mehr erhältlich. Klar ist: im Einklang mit dem zweiten Bullet „Start slowly“ abwägen. Bei mir waren es z. B. Chinos, nachdem ich über 1 Jahr festgestellt habe, dass ich diesen Hosentyp mag und viel trage. Dann und erst dann habe ich mehrfach zugeschlagen, als mir eine Chino mit perfektem Schnitt in die Hände fiel.

Get a tailor you can trust…

Tiefgehende Erfahrungen habe ich hier noch nicht. Aber schon zum Kürzen von Hosen und Sakkoärmeln braucht ihr von Tag 1 einen Schneider Eures Vertrauens. Die nächste Stufe, ältere Anzüge mal grundsätzlich „überarbeiten“ zu lassen, visiere ich erst an und kann dazu noch nicht berichten.

… but don’t trust the salesman.

Es gibt immer wieder zu lobende Ausnahmen. Aber es sind Ausnahmen. Die meisten „Stilberater“ beim Herrenausstatter sind in erster Linie Verkäufer und/oder haben nicht wirklich Ahnung. Nehmt sie gegebenenfalls als Sparringspartner für Details (Hose noch nen Tick kürzer, passt das Rot zum Einstecktuch), aber auch wirklich nur für Details und keine grundsätzlichen Entscheidungen. Was ich mir in der Anfangsphase habe erzählen lassen. Je mehr Broguing auf dem Schuh, desto formeller, sagte mir eine Verkäuferin in hochpreisigem Schuhladen… das Sakko ist nicht zu eng, sie müssen das nur offen tragen (ja, wirklich…) … u.v.m.

Ich glaube, wenn ich es auf den Punkt bringen müsste, würde ich sagen: Fangt simpel an und Lasst. Euch. Zeit.


LG, Anzugista
 
Es gibt immer wieder zu lobende Ausnahmen. Aber es sind Ausnahmen. Die meisten „Stilberater“ beim Herrenausstatter sind in erster Linie Verkäufer und/oder haben nicht wirklich Ahnung.
Das sind wohl etwas zu große Worte für jemanden der nur ein wenig, wenn auch schlechte, Erfahrungen sammelte.
Ich gehe davon aus, dass du nicht mal annähernd die meisten Verkaufsberater kennst, da ein pauschales Urteil zu fällen ist sehr anmaßend. Dann kannst du davon ausgehen, dass wenige Dutzend schlechte Erfahrungen im Netz weit mehr Wind machen als Tausender gute Erfahrungen die quasi täglich mit Fachkompetenzen im Handel gemacht werden.

Ansonsten gut geschrieben. Daumen hoch.
 
Danke Dir fürs Feedback, an der Stelle war ich wohl zu pauschalisierend, aber ein wenig provozieren und zur Diskussion anregen ist ja auch im Sinne des Forums ;)
Hatte selbst natürlich auch schon Verkäufer mit tollen Ideen, bin ein Riesenfan der Boss-Chinos aus der Frühjahrskollektion z. B., auf die ich ohne einen engagierten Verkäufer bei P&C in der obersten Etage, der mich dafür ganz runtergeschickt hat, nie gekommen wäre. Oder ich erinnere mich an einen Verkäufer im Boss-Flagship-Store, der mir, als ich vor einigen Jahren wirklich noch null Plan hatte, viele Grundlagen des "klassischen" Anzugschnitts erläutert hat, ohne dass überhaupt die Aussicht bestand, dass ich etwas kaufe.
Aber es waren in meiner persönlichen Erfahrung wirklich rare Ausnahmen. Insbesondere beim Kauf eines Anzugs hatte ich rückblickend noch keine Erfahrung, mit der ich wirklich rundum zufrieden war, und es waren eben auch eine Menge "Böcke" drin (offenes Sakko, viel zu enges Sakko, grausame Rückenfalten wurden als "guter" Sitz angepriesen), die ich mir nicht zuletzt durch den Willen erkläre, einfach verkaufen zu wollen.
Im Ergebnis finde ich es besser, "Neulinge" hier erstmal zu warnen, sich selbst bestmöglich zu informieren, und den Beratern hier tendenziell lieber mit einer gesunden "Grundskepsis" entgegenzutreten.

So long, Anzugista
 
Daumen hoch, auch von mir.

Was ich noch addieren könnte - Sale Aktionen sind mit Vorsicht zu genießen. Was ich bei Best Secret in den ersten Monaten alles an Geld ausgegeben habe, für Kleiderstücke die ich entweder gar nicht oder ein Mal getragen habe. Das Geld lieber aufsparen um es für die richtigen Sachen ausuzugeben. Mir hat da das Halten einer Excel-Tagebuchs geholfen, mit den jeweiligen Monatsausgaben.

Gruß,
Stronzium
 
Hatte selbst natürlich auch schon Verkäufer mit tollen Ideen, bin ein Riesenfan der Boss-Chinos aus der Frühjahrskollektion z. B., auf die ich ohne einen engagierten Verkäufer bei P&C in der obersten Etage, der mich dafür ganz runtergeschickt hat, nie gekommen wäre. Oder ich erinnere mich an einen Verkäufer im Boss-Flagship-Store, der mir, als ich vor einigen Jahren wirklich noch null Plan hatte, viele Grundlagen des "klassischen" Anzugschnitts erläutert hat, ohne dass überhaupt die Aussicht bestand, dass ich etwas kaufe.
Das sind aber auch keine Herrenausstatter, das sind einfach Bekleidungsläden. Der Begriff Herrenaustatter impliziert deutlich mehr fachliche Kompetenz, es gibt allerdings kaum mehr welche im klassischen Sinne. Ich würde nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass man da immer super beraten wird, es ist aber wahrscheinlicher als bei P&C, wo man von dem was der Durchschnittsverkäufer nicht weiß noch zwei andere blöd machen kann.

Umgekehrt gibt es auch da löbliche Ausnahmen, z.B. ein älterer Verkäufer bei Hirmer in München, der mir - zu Recht - einmal sagte: "Nein, das verkaufe ich Ihnen nicht!" Fand ich gut, denn er hatte recht.
 
... Verkäufer bei P&C ... Verkäufer im Boss-Flagship-Store ...
Kaufhäuser und Fashion Stores sind keine Herrenausstatter ...
Im Ergebnis finde ich es besser, "Neulinge" hier erstmal zu warnen, sich selbst bestmöglich zu informieren, und den Beratern hier tendenziell lieber mit einer gesunden "Grundskepsis" entgegenzutreten.
So long, Anzugista
Eine gesunde Grundskepsis ist ja natürlich! Und bevor man 1.500€ oder mehr für einen guten Anzug ausgibt, sollte man sich selbstständlich auch informieren. Ich würde da aber weniger das Internet pauschal empfehlen, sondern eher vereinzelte Quellen im Netz (hier hat zB Florian und andere schon ganz tolle Berichte verfasst).
 
Point taken! Dann korrigiere ich auf Bekleidungsläden, da haben wir im Forum weitestgehend wohl Konsens, was die Qualität der Beratung angeht. Meine Gegenfrage wäre: ab wann „beginnt“ für Dich der Herrenausstatter? Im Eckerle zum Beispiel, die sich in ihrem Selbstverständnis zumindest so sehen dürften, bin ich grundsätzlich gerne. Finde die Auswahl für mein Budget gut, den Umgang der Verkäufer freundlich und habe dort auch schon viele gute Tipps z. B. Zur Kleiderpflege bekommen. Auch die Kulanz bei mangelhafter Ware war auch nach Monaten zumeist vorbildlich. Ich muss aber auch sagen: Bei der Beratung in der „Königsdisziplin“ Anzüge und Sakkos bin ich rückblickend auch eher enttäuscht. „Tragen sie das Sakko doch einfach offen“ ist von dort. Und auch die Anzüge, die ich dort erworben habe, gehören eher in den Bereich Rückenfalten und Spannsakko...
 
Meine Gegenfrage wäre: ab wann „beginnt“ für Dich der Herrenausstatter? ...
Natürlich gibt es da keinen Schlagbaum der eine Grenze zieht ... aber Eckerle ist ein schönes Beispiel. Ich glaube er steht genau auf der Grenze zum Kaufhaus. Eine Stufe näher ist da Sör mit seinem riesen Filialsystem.

Für mich persönlich gilt als Herrenausstatter ein Imhaber geführtes Geschäft mit Fachpersonal. Vom Angebot unterscheidet sich ein Ausstatter durch sein Angebot an Fertigwaren vom von einem Atelier. Aber wie gesagt, da gibt es wohl rechtlich keine klaren Grenzen.

Und selbstverständlich gibt es auch immer mal Personal was schwierig ist. Auf der einen Seite durch Unwissenheit und auf der anderen Seite durch Arroganz bzw. Überheblichkeit.

Da ich selbst in dem Umfeld tätig bin, kenne ich vielleicht einige Verkäufer mehr als du. Ich stelle jetzt mal in den Raum, dass man bei 60 von 100 eine echt gute ordentliche Beratung bekommt. Weitere 20 sind sehr bemüht und in einer guten Kooperation mit den Kunden kommt was sehr Gutes auch raus. 10 meinen es nicht böse, durch Desinteresse und eigenen Unsicherheiten geben Sie lediglich das was der Kunde will und nicht mehr ... und 10 sind wirklich doof und/oder haben schlicht kein Bock.

Ich glaube nicht, dass sich diese prozentualen Gegebenheiten arg von Anwälten, Bäckereifachverkäufer oder Bänker unterscheidet.

Manche Kollegen würden sogar behaupten, dass so manch eine Beratung von der Unfreundlichkeit der Kunden diktiert wird.

Ich glaube, bei Herrenausstatter sind weit mehr als die Hälfte der Kunden sehr zufrieden mit ihren Beratern. Ein weiterer sehr großer Teil möchte überbhauot keine große Beratung und ist auch zufrieden.

Das Sterben dieser klassischen Ausstatter hat, vielleicht anders als so mancher glaubt, nichts mit dem Personal zu tun. Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen am Personal sind ja immer in Folge von ...
 
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