Funktionieren ausgefallene Anzüge im Job?

Chapelier

New Member
Hallo Style-Community

Ich habe die letzten Tage euer Forum durchwühlt und bin sehr nachdenklich geworden, suche nun euren Rat:

Vorgeschichte (lässt sich überspringen)
Ich stamme aus der alternativen Theater-Szene und war lange Punk um schließlich stilistisch eher in Richtung exzentrisch abzudriften. Anzüge waren für mich immer die Ausgeburt der konservativen Langeweile und Uniformierung. Mittlerweile bin ich 27 und im letzten Drittel meines Filmstudiums und arbeite als Bildregisseur und in der Filmregie. Meine ausgeflippten Bühnen-Kostüme kommen zwar gut in der Szene an und die Ladys haben meinen schrägen Stil immer sehr gelobt aber langsam werde ich älter und in der Branche begegnen mir kritische Blicke. Neulich war ich bei einem Meeting für einen Bugatti Spot und fühlte mich bei den stilsicheren Auftraggebern plötzlich wie ein Kleinkind und wurde entsprechend auch weniger ernst genommen. Auch gewinne ich den Eindruck dass Anzugtragende Konkurrenten trotz geringerer Qualifikation mir die guten Aufträge wegschnappen.
Dass man in der Medienbranche wild auftreten kann erweist sich immer mehr als Urban Legend, denn immerhin habe ich sehr viel Kundenkontakt und die Produzenten und Gremien vertrauen mir sehr viel Geld an und sind ja doch fast alle Businessmen.

Zur Situation
Nun habe ich die letzte Zeit bei P&C, Wormland, Eckerle usw. Sakkos und Anzüge durchprobiert. Zum ersten mal. Ich sehe darin furchtbar aus. Kein Wunder: 1,75m Groß 110cm Brustumfang 80cm Taille. Hier im Forum hieß es ein Maßanzug muss her. Ok kein Problem.
Jedoch so ganz Grau in Grau passt nicht zu mir. Schwarz ist irgendwie zu streng und overdressed. In blau oder anthrazit fühle ich mich wie ein Fahrscheinkontrolleur und braun oder kariert assoziiere ich mit alten Lehrern.
Ausgefallene Modelle in Samt-Violett oder Grün bzw schrill gemustert gefallen mir aber trotzdem sehe ich eher aus wie ein Concierge dem man Gepäck aber keine Filmbudgets anvertrauen würde. Vielleicht fehlt auch ein Äffchen, dann wäre das bild des Komikers komplett. Ich bin nun wirklich frustriert.

Die Fragen:
Gibt es Anzugsvarianten für extrovertierte Performer die trotzdem seriös aussehen? Gibt es da bestimmte Hersteller die sich auf so etwas spezialisieren? Beispiele von Menschen der Zeitgeschichte? Ich fühle mich in einem schlichten Anzug total eingeengt. Kombiniert man mit schrägen Accessoires zu gedeckten Farben und klassischen Schnitten?
Oder wird es Zeit erwachsen zu werden und die ausgefallenen freaky Klamotten müssen beim Teddybär und dem Legobaukasten begraben werden wenn man ernst genommen werden will? Muss ich meine Cowboystiefel aus Krokodil verkaufen und durch Oxfords ersetzen? Gibts die auch aus Krokodil? ;)

Ihr habt mich jedenfalls davon überzeugen können dass Anzüge doch recht vielseitig und spannend sein können. Und ich werde mich ganz sicher einen Schneidern lassen. Aber ich will nicht 2000€ ausgeben um dann festzustellen dass beim nächsten Bugatti Concept Meeting ich diesmal wie ein Clown im Anzug rezipiert werde statt wie ein Clown in Jeans.

Danke für eure Zeit. Vielleicht könnt ihr mir aus meiner Frustration helfen. Über Links zu Bildern oder Herstellern würde ich mich freuen.

Grüße Chapelier
 
Zuletzt bearbeitet:
Hm, also die Werbebranche war schon immer etwas schicker als z.b. der Doku- oder Spielfilmbereich, aber dass da neuerdings alle in Anzügen rumrennen, war mir neu.
Zum Thema Vorbild, hier war vor inzwischen leider einiger Zeit der User Spoozy oft mit eher ausgefallenen Outfits aktiv, er ist glaube ich auch ein Werber, nicht sicher...
Ich finde übrigens nicht, dass Anzug-/Kombistragen etwas mit erwachsen werden zu tun hat, für mich ist das eher entweder eine Stil- oder Zwangfrage. Wem's gefällt, der soll's tragen, wer muss, muss halt.

e: Stell doch mal ein Bild von einem deiner Outfits rein, würde mich interessieren. Kannst ja Kopp weglassen oder blurren...
 
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Hm, also die Werbebranche war schon immer etwas schicker als z.b. der Doku- oder Spielfilmbereich, aber dass da neuerdings alle in Anzügen rumrennen, war mir neu.
Zum Thema Vorbild, hier war vor inzwischen leider einiger Zeit der User Spoozy oft mit eher ausgefallenen Outfits aktiv, er ist glaube ich auch ein Werber, nicht sicher...
Ich finde übrigens nicht, dass Anzug-/Kombistragen etwas mit erwachsen werden zu tun hat, für mich ist das eher entweder eine Stil- oder Zwangfrage. Wem's gefällt, der soll's tragen, wer muss, muss halt.

http://kleidsam.tumblr.com/
 
Du bist offenbar auf die herrschende Realität gestoßen: Die, welche das Ganze finanzieren, sind keine Kreativen, sondern Finanzer. Viele Fonds beteiligen sich mittlerweile an Filmen, auch in der Werbung, und dort sitzen -vorsichtig formuliert - sehr trockene Charakter.

Du wirst deine Liebe zum Anzug sicher erst entwickeln müssen. Das dauert, zumal es bei dir weniger ein ästhetisches als vielmehr ein ideelles Problem zu sein scheint. Der Spießer trägt halt Anzug, also kommt bei dir der Beissreflex. Und das merkt man dir an, Du fühlst dich im Anzug unwohl.
Aber: wer Kaviar fressen will, muss Heringe verkaufen.
Kompetenz und Kreativität ist schön und gut, offenbar wirst du aber nur als Letzteres wahrgenommen. Das klingt nach Ärger, Budgetüberziehung und Selbstverwirklichung, für einen "zahlenmensch" also zunächst mal gefährlich.

Sieh einen Anzug als das, as er für dich ist: Ein Blaumann, also Arbeitskluft. Du wirst auch im Anzug erst einmal "deinen" Stil entwickeln müssen, um wahr- und ernstgenommen zu werden. Ansonsten wirkst du immer verkleidet. Ich gebe dir den tip, der weiland schon Sean Connery gegeben wurde: Trage den Anzug eine Woche pausenlos, um dich daran zu gewöhnen.
Wenn du nun in einem lila Traum aus Satin aufschlägst, wirst du bestenfalls für einen skurrilen Schwulen gehalten, schlechtestens für einen Anachronismus der Siebziger. Siehe oben.

Nicht umsonst gibt es die "Uniform" des Anzugs. Du hast sicher die Möglichkeit, durch Accessoires oder Schnitt das Ganze aufzubrechen, das setzt aber voraus, das du die Basics beherrscht und sicher bist, ähnlich wie beim Filmemachen. Bevor du den Hitchcock gibst, musst du Jack Arnold verstanden haben.
Schau dir mal eine Folge Poirot mit David Suchet an, er ist immer sehr formal, aber auch sehr auffällig gekleidet. Das kann er aber nur, weil über Jahre seinen Stil entwickelt UND kultiviert hat.

Beiß in den sauren Apfel, kauf dir einen blauem Anzug, ein ausgeflipptes EST und Schuhe aus ungewöhnlichem Leder und dann beiß in den sauren Apfel .
Oder bleib wie du bist. Alles andere ist nur Verkleidung. Das wird man sofort erkennen und das wirkt dann noch inkompetenter und alberner.
 
Ich hätte zwei Vorschläge:

1. Du kleidest dich wie ein klassischer Designer: schwarz minimalistisch, einfaches Hemd oder Rolli, keinerlei Auffälligkeiten. Das entspricht zumindest dem Klischee und du wirst definitiv nicht als bunter Vogel wahrgenommen, sondern als ernsthaft und trotzdem den Unterschied in der Rolle zu deinen Auftraggebern betonend.

2. Du kleidest dich formal (Anzug, Krawatte), aber variierst im klassischen Kanon, um nicht selbst als "einer der ihren" wahrgenommen zu werden (dann werden die Auftraggeber dich nicht mehr als kreativ, sondern einzig und allein als Manager wahrnehmen). Insofern solltest eher nicht zum grauen Anzug greifen, aber auch nicht zum klassischen Windowpane. Teilweise finde ich ganz gut, wie Paul Smith die klassische Garderobe abwandelt, ein Beispiel hier

http://www.paulsmith.co.uk/sites/default/files/aw13_LONDON_SP03_120.%28w%29.jpg

Ich könnte mir so einen schlichten blauen, aber nicht dunkelblauen, Anzug vorstellen, da kann man dann mit Krawatte, Hemd, Einstecktuch, Schuhen, Schal usw. eine ganze Klaviatur von unterschiedlichen Varianten ausprobieren. Es gibt halt nichts, was "Business" stärker ausstrahlt als ein qualitativ hochwertiger, gut sitzender Anzug.

Für die etwas weniger formellen Momente, wenn es eher um die Kreativität geht, würde ich mir angewöhnen, immer ein Sakko zu tragen, zum Beispiel ein dunkelblaues, damit der Bruch im äußeren Eindruck nicht so stark ausfällt. Das geht dann auch schon mal mit Cowboystiefeln, aber du merkst selbst, dass das für viele Anlässe doch als unpassend wahrgenommen wird.

Ich würde mit diesen beiden Dingen anfangen und dann ausprobieren, welche Kombinationen dir am meisten zusagen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es auch sehr hilfreich ist, sich nicht nur im Spiegel zu betrachten, sondern auf Fotos, das gibt einen besseren Eindruck, wie andere dich wahrnehmen, und du kannst das auch mit anderen Bildern (Forum, Blogs, Zeitschriften) vergleichen. Du musst es ja nicht gleich hier im WTIH posten.;)
 
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