Der Artikel Sammelthread


Na ja, sicher einige für das hiesige Forum diskutable oder vielleicht sogar schon wieder indiskutable Aussagen, aber es hätte deutlich schlimmer kommen können. Eigenartig finde ich dennoch, daß gerade in einer Establishment-Postille wie der FAZ der "Geiz ist geil"-Mentalität Vorschub geleistet wird - einige Bewertungen in den Schlußpassagen lassen ja die Interpretation zu, daß zwischen einem Brioni-Smoking und einem für EUR 199 aus den Tiefen des Neulands nicht wirklich ein Unterschied bestehe, wobei z.B. über die unerfreulicheren Aspekte der Billigheimer, nicht nur die fernöstliche Billigproduktion, lächelnd hinweggesehen wird.
 
Ferdinand hat seinen Smoking bei www.mytuxedo.co.uk gekauft. Für 93 Pfund, also etwas mehr als 100 Euro. Für das nahende Sommerfest passte der passabel, wie jeder andere von der Stange auch. Danach ging er zu seinem Schneider um die Ecke und ließ sich den Smoking für 30 Euro anlegen. Für knappe 140 Euro war er nun stolzer Besitzer eines perfekt sitzenden Smokings.

*sigh*
 

Ach, ich weiss nicht. Ich bin ja bekennendes Mitglied der "wenn's nicht 100%ig ist freue ich mich doch über den Versuch und die Absicht" Minderheit hier. Was sind denn die Alternativen zu einem hier als suboptimal empfundenen Smoking? Rotes Hemd aus verwaschener schwarzer Jeans raushängend? Ist das dann besser? Da bin ich sartorial doch lieber auf einer Abendveranstaltung mit schlechten Smokings. Man muss den Maßstab doch mal im Dorf lassen. Erst kommen Wille und Initiative zu Smoking, dann kommen Ahnung und Anspruch, und mit Glück irgendwann dann pekuniäre Möglichkeiten und Qualität.

Disclaimer: Mein Smoking war sogar noch rund 30% billiger. Zwei Drittel davon für Frau Grimblat. Und es steht Regent drin - aber ohne das Forum hätte ich erstens gar keinen und zweitens, wenn überhaupt, dann auch so einen Billigheimer (erst hier habe ich gelernt vernünftig zu secondhanden) für die vier sich aufdrängenden Gelegenheiten in meinem Leben.

Dass Herr Roetzel generell zu Smoking ermuntert finde ich gut, dass er die unterste Kategorie dann nicht zumindest leise mahnend kommentiert schade.
 
Mir ging es um die Vorstellung, dass ein mytuxedo.co.uk-Smoking mit 30€ Änderungen perfekt passt - das wird ja deutlich hier proklamiert. Und implizit denkt der in dem Bereich nicht reflektierende Leser, dass dieses Produkt also eigentlich fast genauso gut, wie irgendeine teurere Marke aus "holzvertäfelten" Läden ist. Damit wird also die Erfahrung der Qualität an sich hinterfragt oder zumindest trivialisiert - und das macht eben auch die intrinsische Motivation der Kleidung aus, nicht nur der 'Look'.

Dass man in qualitativ minderen Klamotten besser aussehen kann, als manch einer in der RTW-top-notch-Liga bleibt natürlich unbestritten. Nur wird das Zitat eben hier so mit dem Anpreisen von Billigherstellern verquickt, dass der Eindruck einer qualitativen Egalität mit reiner Markendiffernzierung entsteht. Das ist einfach schlechter Journalismus, und inhaltliche nur die Reflektion des plump erdachten "Ferdinand"-Beispiels.
 
Mir ging es um die Vorstellung, dass ein mytuxedo.co.uk-Smoking mit 30€ Änderungen perfekt passt - das wird ja deutlich hier proklamiert.

Sicher nicht zwingend, aber im Grunde spricht da nichts gegen. Wieso sollte ein Kiton von der Stange für 5 k€ (ok: wesentlich) besser passen? Passform hat doch wesentlich weniger mit Handnähten als mit Längen und Weiten zu tun. 95% sind für die allermeisten "passt perfekt", die restlichen 5% fallen doch nur so ein paar Verrückten auf...

Und implizit denkt der in dem Bereich nicht reflektierende Leser, dass dieses Produkt also eigentlich fast genauso gut, wie irgendeine teurere Marke aus "holzvertäfelten" Läden ist. Damit wird also die Erfahrung der Qualität an sich hinterfragt oder zumindest trivialisiert

Du verwechselst Qualität mit Passform. mytuxedo kann, je nach Änderungsschneider und Körperform, praktisch so gut passen wie der Kiton. Von der Qualität des Kleidungsstücks bleiben Welten dazwischen.

Dieses Vermengen steht IMHO so nicht im Text, dass man das so rauslesen kann will ich nicht bestreiten.

Nebenbei kann ich einen lobenden Bericht zum Smart durchaus lesen ohne dadurch Rolls Royce trivialisiert und egalisiert zu sehen.

Dass man in qualitativ minderen Klamotten besser aussehen kann, als manch einer in der RTW-top-notch-Liga bleibt natürlich unbestritten. Nur wird das Zitat eben hier so mit dem Anpreisen von Billigherstellern verquickt, dass der Eindruck einer qualitativen Egalität mit reiner Markendiffernzierung entsteht. Das ist einfach schlechter Journalismus, und inhaltliche nur die Reflektion des plump erdachten "Ferdinand"-Beispiels.

Ich stimme Dir nicht zu, gestehe aber zu dass man das so lesen und verstehen kann.

Für mich ist die Aussage des Artikels "Guckt mal. Smoking ist im Kommen, er beisst nicht, und man kann sich auch mit überschaubarem Aufwand ins Vergnügen stürzen". Daher kam der Artikel bei mir gut an. Die Frage ist doch ob ein Artikel mit der von Dir (überspitzt) geforderten Aussage "Wenn ihr euch nicht gleich für richtig Asche ins Highend stürzt lasst es doch bitte besser" mehr Leute dazu ermutigt sich mit sowas zu beschäftigen. Der Leserkreis der FAZ ist nunmal ein anderer als beim SM.
 
Für mich ist die Aussage des Artikels "Guckt mal. Smoking ist im Kommen, er beisst nicht, und man kann sich auch mit überschaubarem Aufwand ins Vergnügen stürzen". Daher kam der Artikel bei mir gut an. Die Frage ist doch ob ein Artikel mit der von Dir (überspitzt) geforderten Aussage "Wenn ihr euch nicht gleich für richtig Asche ins Highend stürzt lasst es doch bitte besser" mehr Leute dazu ermutigt sich mit sowas zu beschäftigen. Der Leserkreis der FAZ ist nunmal ein anderer als beim SM.

Ok, in der Lesart ist es ein guter Anstoss. Ich habe den Artikel anders verstanden, weil ich eben darin explizit nicht nur den Begriff der Passform, sondern der Qualität wiederfinde, wenn fragend eingeleitet wird: "Den Smoking gibt’s schon für 100 Euro. Taugt der was?"

Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen: nein, tut er nicht. Perfekt passen umfasst ja viele Dimensionen und ich wehre mich gegen die inflationäre Verwendung des Perfektionbegriffs. Ich würde dann raten etwas zu sparen oder Zeit zu investieren, sich zu informieren, um dann mehr Freude daran zu haben. Den Anspruch darauf, dass ein Anzug im Wert des Tagelohns eines gering bezahlten Arbeiters etwas taugen soll, finde ich etwas absurd.

Mir geht es eher darum einen gewissen Qualitätsanspruch zu wahren, der einigermaßen vertretbar ist. Mein Smoking hat 350€ gekostet - man kann sich denken woher. Das ist m.E. keine unvertretbar hohe Summe.

Und wenn ich als Selbstreflektion den Artikel noch einmal lese, muss ich dabei bleiben, dass hier ein für mich befremdliches Bild von Qualität vermittelt wird.
Beispiel Unterüberschrift: "Geschmack schlägt Qualität"

Wie gesagt, die Intention Rötzels ist mir bewusst, aber die journalistische Verarbeitung dessen ist für mich inakzeptabel. Ich würde mir wünschen, dass man heute auch einmal meiner Generation eindringlich vermittelt:

Nein, du kannst nicht für ein paar Stunden Kaffee servieren dir gleich den elegantesten Smoking kaufen und "aussehen, wie James Bond".
Nein, Ressourcen sind nicht unbegrenzt. Ressourcen-Knappheit impliziert Entscheidungen und Entscheidungen implizieren ein Risiko. Und mir erscheint es als wären immer weniger bereit diese Risiken zu tragen, die Basis aller freien Entscheidung sind.

Die Coca-Cola-I-love-it-I-don't-care Weltanschauung funktioniert eben leider nur, wenn jemand anderes die Risiken trägt; das kann Papa sein, oder irgendwelche Näherinnen in Bangladesh.
 
Aus meiner Erfahrung heraus würde ich sagen: nein, tut er nicht. Perfekt passen umfasst ja viele Dimensionen und ich wehre mich gegen die inflationäre Verwendung des Perfektionbegriffs. Ich würde dann raten etwas zu sparen oder Zeit zu investieren, sich zu informieren, um dann mehr Freude daran zu haben. Den Anspruch darauf, dass ein Anzug im Wert des Tagelohns eines gering bezahlten Arbeiters etwas taugen soll, finde ich etwas absurd.

Volle Zustimmung, und jeder zitiert ständig "wer billig kauft kauft doppelt" und kauft trotzdem immer wieder billig und doppelt (ich eingeschlossen). Und sei es weil man sich nicht sicher ist ob man in diesem Bereich wirklich wert auf "gut" legt und es sich nicht leisten kann an wirklich allen Fronten nur zum Ausprobieren unbillig zu kaufen. Dazu kommt dann noch die permanente "Geiz ist geil" Gehirnwäsche.

Dem Rest Deines Beitrages kann ich ebenfalls voll zustimmen, nur der Vollständigkeit halber. Wobei auch ich bei meinem gnädigeren Urteil des Artikels bleibe. :p
 
Oben