Wo ist Bernhard Roetzel?

Das waren ja zwei ganz besonders informative Artikel. Und mit so feiner Feder geschrieben, da merkt man, es hat sich einer richtig Mühe gegeben. Die Verdienste des Stilpapstes in allen Ehren, aber da ist jeder 3. Beitrag hier im Forum gehaltvoller. Was allerdings nicht nur gegen die Blogbeiträge des Herrn R. spricht, sondern auch für das Stilforum.
 
So, jetzt haben wir aber erst einmal wieder genug Roetzel-Bashing betrieben, um uns beruhigt in unserer eigenen Sophistiziertheit suhlen zu können. Bei allem Schmunzeln über die für uns Forenritter eher mäßig nahrhafte Kost Roetzel'scher Blog- und Magazinbeiräge sollte man doch zwei Dinge bedenken:

  1. Wenn auch nur jeder zehnte, der einmal den Gentleman durchgeblättert hat, auch nur ein Zehntel der darin ja beflissen aufgeführten und illustrierten Regeln klassischer Herrenkleidung befolgt, dann hat Herr Roetzel wohl allein mehr zu einem gepflegteren Bild deutscher Innenstädte beigetragen als alle Mitglieder dieses Forums zusammen.

  • Außerdem ist es ja weder anrüchig noch anderweitig bedauernswert, daß Herr Roetzel eben auch - und zuvorderst - die Stilnovizen mit seinen Blog- und Magazinbeiträgen anspricht. Mit den hiesigen selbst- oder fremdernannten Experten nun darüber zu streiten, ob eine klassische Krawatte korrekt 8,5 cm oder 8,7 cm breit sein sollte, mag zwar gelegentlich amüsant sein, dürfte aber auf die Dauer ein recht begrenztes Marktpotential für jemanden bieten, der eben mit derartiger Arbeit sein Geld verdient.

Also: Einen Toast auf den "Stilpapst"! For he's a jolly good fellow, for he's ...

dE
 
Lieber Jean,

ganz grundsätzlich haben Sie ja recht. Niemand hier hat die Verdienste von Herrn Roetzel auch nur in Zweifel gezogen. Und dass der "Gentleman" ein wichtiges Werk ist, das sich manch einer mal zu Herzen nehmen könnte, ist ebenfalls wahr. Aber einem schlauen Menschen wie Ihnen wird auch klar sein, dass Verdienste an sich nicht unbedingt ein Grund sind, auch alles andere, was eine Person macht, hochzujubeln. Ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn Herr R. weiter seine Mission verfolgen würde, Stilnovizen - wie ich es auch bin - weiter in die Basics der geschmackvollen Kleidung einzuweihen. Tut er aber nicht. Ich weiß nicht, ob Sie die Beiträge gelesen haben - der Informationsgehalt ist auch für Anfänger gleich Null. Solche "faule" Schreibe darf man meines Erachtens kritisieren, gerade bei einem so angesehenen Schreiber. Mit Hybris hat das entgegen Ihrer Annahme nichts zu tun.
 
...der Informationsgehalt ist auch für Anfänger gleich Null...

Finde ich nicht. Alleine die Aussage finde ich sehr interessant und als Grundlage fürs Leben nicht unerheblich:
Disziplin scheinen viele Menschen eher als nervig zu empfinden. Sie verlangt uns etwas ab, stellt Forderungen. Auf dem Sofa zu liegen und in den Fernseher zu starren ist doch viel bequemer. Die Krawatte wegzulassen auch. Klassische Kleidung hat viel mit Disziplin zu tun.

Falls der geneigte Leser Informationen über den Schnitt oder die Farbe von Kleidungsstücken erwartet, gebe ich Charlie recht...
 
Lieber Jean,

ganz grundsätzlich haben Sie ja recht. Niemand hier hat die Verdienste von Herrn Roetzel auch nur in Zweifel gezogen. Und dass der "Gentleman" ein wichtiges Werk ist, das sich manch einer mal zu Herzen nehmen könnte, ist ebenfalls wahr. Aber einem schlauen Menschen wie Ihnen wird auch klar sein, dass Verdienste an sich nicht unbedingt ein Grund sind, auch alles andere, was eine Person macht, hochzujubeln. Ich hätte auch gar nichts dagegen, wenn Herr R. weiter seine Mission verfolgen würde, Stilnovizen - wie ich es auch bin - weiter in die Basics der geschmackvollen Kleidung einzuweihen. Tut er aber nicht. Ich weiß nicht, ob Sie die Beiträge gelesen haben - der Informationsgehalt ist auch für Anfänger gleich Null. Solche "faule" Schreibe darf man meines Erachtens kritisieren, gerade bei einem so angesehenen Schreiber. Mit Hybris hat das entgegen Ihrer Annahme nichts zu tun.

Lieber Charlie,

ich denke, daß wir in weiten Teilen übereinstimmen. Auch ich halte die in diesem Thema verlinkten oder zitierten Artikel von Roetzel für below his standards und gehörte ja durchaus zu denjenigen, die die ersten Steine geworfen haben. Dessen ungeachtet halte ich die Artikel für weit entfernt von "Informationsgehalt gleich Null"; wenn man zur Messezeit einmal durch die Frankfurter Innenstadt geht und sich dazu zwingt, die Augen nicht vor Grausen stets auf den Boden gerichtet zu halten, wird schnell erkennbar, daß klare und aus unserer Sicht triviale Regeln wie "Keine Comic-Krawatten" einer erschreckenden Zahl unserer Mitmenschen entweder unbekannt oder egal sind. Roetzels Back to the absolute basics mag hier gar nicht so falsch sein, wenn man sich sein Zielpublikum für derartige Simplifizierungen anschaut. Denke Sie immer daran, daß ein "Stilnovize", als der Sie sich ja hier ganz bescheiden selbst darstellen, wenn er auch nur zehn Diskussionsbeiträge hier gelesen oder gar selbst verfasst hat, im Zweifelsfall hundertmal mehr von klassischem Kleidungsstil weiß als der Durchnschnitt der Bevölkerung.

Im übrigen sollte man vielleicht auch seinen Broterwerb nicht stets am hehren Ziel einer "Mission" messen. Roetzel muß ja als Autor derartiger Artikel eben auch die Wünsche und Erwartungen seiner Kunden bedienen, und das sind nun eben nicht primär die hier versammelten Stil"missionare" sondern Magazine und Blogs, die wiederum Ihren eigenen Kunden- und Leserstamm zufriedenstellen wollen, der nur eine sehr kleine Schnittmenge mit uns und unseresgleichen haben mag.

Ich bin der Erste, der Ihnen darin zustimmt, daß wir keinen "Stilpapst" und vor allem keine unreflektierte, quasi-religiöse Huldigung eines solchen brauchen. Andererseits scheint aber in Foren wie diesem gelegentlich eine Geheimlogen-Kultur zu wuchern, in der ein unabdingbares Zeichen für das Erreichen höherer stilistischer Erleuchtungsgrade darin zu bestehen scheint, daß man geradezu rituell und so öffentlich als möglich den alten Meistern abschwört. "Der Anfänger kennt die Regeln, um sie zu befolgen. Der Meister kennt sie, um sie zu brechen", ergo: Will ich mich selbst als Meister positionieren, so muß ich Roetzel sichtbar hinter mir lassen.

Lassen Sie uns doch das Gerüchten zufolge derzeit in Arbeit befindliche nächste Buch des Herrn Roetzel abwarten und dann diskutieren, ob er (weiterhin) Qualität "kann" oder aber nunmehr doch als Trivialschreiberling abgelegt werden kann.

In diesem Sinne: "Es ist nicht alles Roetzel was glänzt!" Oder war's "Es ist nicht alles Gold was roetzelt"? Wie auch immer...

Herzliche Grüße,

dE
 
Ich kann auch ohne Krawatte gut angezogen sein, mit einem Trainigsanzug (ausserhalb eines Sportplatzes) nicht.

Absolut. Und nach nochmaliger Lektüre der verlinkten Artikel kann ich auch nirgends Roetzels Forderung finden, man müsse immer und überall Krawatte tragen, um gut gekleidet zu sein. Vorsicht vor Über-Interpretation!

dE
 
...

Lassen Sie uns doch das Gerüchten zufolge derzeit in Arbeit befindliche nächste Buch des Herrn Roetzel abwarten und dann diskutieren, ob er (weiterhin) Qualität "kann" oder aber nunmehr doch als Trivialschreiberling abgelegt werden kann. ...
Ich mag ihn missverstanden haben, aber wenn ich es richtig deute, soll das kommende Buch wohl in der Tat so eine Art "Bedienungsanleitung" sein. Jedenfalls war das das Wort, auf welches wir uns verständigt haben nachdem ich gesagt habe, dass "Der Gentleman" für mich jedenfalls keine solche ist. Ich bin ja eher ein Freund der freien Interpretation starrer Regeln.

Nun mag eine solche Bedienungsanleitung für jeden anders gestaltet sein. Der Hinweis auf viele Fotos mit Kombinationsempfehlungen lässt mich allerdings ahnen, dass auch er der Entwicklung, dass sich viele Interessierte eben nicht mehr "im Print", sondern in der nahezu unüberschaubaren Welt der Foren, Blogs und Tumblers bedienen, Tribut zollt.

Ich weiß, dass einige der hier schreibenden Mitglieder im Netz gefundene Bilder, die sie als Inspirationsquelle, zumindest aber als Anregung sehen, speichern; quasi als Gedächtnisstütze. So ähnlich stelle ich mir, jedenfalls teilweise, das neue Buch vor.

Wie gesagt, ich mag hier falsch liegen. Aber auf einen gedruckten Fashionblog könnte ich durchaus verzichten.

Time will tell ...
 
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