Michelangelo
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Vielleicht bin ich aus der Zeit gefallen, aber mich beschleicht da ein recht schales Gefühl, wenn Leute irgendeine Nischenproduktion starten, ohne weder richtig Ahnung noch eine Leidenschaft zu Produkt oder Idee haben, sondern rein aus marketingtechnischen Gründen.
Böse ausgedrückt: aus reiner Gier.
Meiner Meinung nach nichts anderes als bei etlichen Casting-Produzenten, denen Band, Sänger und Musik im Grunde genommen völlig Wurst sind, Hauptsache es wird gehypt und sie selbst verdienen Geld daran. Wird das "Produkt" out, geht man das nächste Castingprojekt an.
Dein Beitrag ist auch für mich gut nachvollziehbar, aber ich glaube, sollte der FAZ-Artikel bei Dir (und anderen) den Eindruck hinterlassen haben, die beiden machen das aus "reiner Gier", tut der Artikel ihnen höchstwahrscheinlich Unrecht.
Herr Radczun ist (Mit-)Eigentümer u.a. von Grill Royal, Pauly Saal and King Size und dürfte daher finanziell unabhängig von der Schneiderei sein. Er scheint das Handwerk persönlich zu schätzen (persönliche Erfahrungen = gewisse Ahnung) und es scheint ihm Spaß zu machen (=Leidenschaft), etwas zum Erhalt des (Kunst-)Handwerks beizutragen, indem er seine Kompetenz, sein Netzwerk etc. nutzt, um die Leistungen zu verkaufen. Ohne diese "Marketing-Bemühungen" hätte die Maßschneiderei wahrscheinlich noch weniger Zukunft, in anderen Ländern vermarkten sich die Schneider nur selbst wesentlich aktiver bzw. engagieren "Nicht-Schneider", um dies für sie zu tun (z.B. Taka bei Liverano).
Herr Purwin hingegen scheint genug davon gehabt zu haben, seine Energie und Zeit in die Vermarktung qualitativ minderwertiger, industriell gefertigter Kleidung zu investieren. Auch das deutet auf eine gewisse Leidenschaft für das Handwerk hin und seine Branchenerfahrung dürfte dem Unternehmen zumindest anfangs durchaus dienlich gewesen sein.
Dass die beiden ihren Laden nicht nach dem angestellten englischen Cutter benennen, ist doch verständlich. Was ist denn z.B., wenn der Engländer irgendwann genug vom Leben in Berlin hat?
Wer ein bißchen was über die Kostenstruktur von Maßschneidern erfahren möchte, kann mal diesen Artikel lesen: http://www.permanentstyle.co.uk/2014/10/bespoke-tailoring-cost-margin-and-value.html
Die Zahlen sind natürlich nur Richtwerte, sollten aber ganz schön zeigen, dass es Geschäftsmodelle gibt, die einem schneller zu Reichtum verhelfen können (nicht zuletzt in der Gastronomie...).
Grundsätzlich glaube ich, dass die beiden mit ihrer Bemühung, die Maßschneiderei auch in Deutschland auf etwas modernere Weise zu vermarkten ganz gut im Trend liegen und die Tatsache, dass sie wohl schon vier Schneider zusätzlich zum Cutter beschäftigen, scheint ihnen Recht zu geben.
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