Oberhemden mit/ohne Krawatte

Es gibt in der großen Masse 2 Arten von Menschen:
1. Ich ziehe an was von mir erwartet wird, damit ich nicht auffalle.
2. Ich ziehe an, was ich will und was mir steht und bin mir meiner Wirkung bewusst.
 
... ein Stück weit der Masse etwas Einhalt gebieten beim Textilen Verfall. ...

Sehe ich auch so. Ansich ist schon mal positiv zu werten, dass überhaupt noch Hemd getragen wird. Krawatte ist eine Frage der "inneren Haltung", d.h. ob man bereit ist, für ein korrektes Äußeres zusätzlichen Aufwand zu betreiben.

Natürlich ist T- oder Sweat-Shirt oder ohne Krawatte bequemer. Genau so wie die moderen Schuhe aus Plastik- oder Nylongewebe, die kaum Pflege bedrüfen und daher von den Massen so geliebt werden. Meiner Ansicht nach dokumentiert man durch das tragen solcher Schuhe eigentlich nur: "Ich bin zu faul zum Schuhputzen und brauche einen möglichst leichten Schuh, da ich anderfalls die Füße nicht gehoben bekomme". Ähnlich sehe ich das beim Hemd ohne Krawatte zu Anzug oder Sakko.

Grüße
Günter
 
Ja machen wir!
Ich stelle mal die These auf, dass ein Großteil der Anzugtragenden die Krawatte nur trägt, weil die Mehrheit der Anderen das auch tut und nicht, weil sie hinter dem ästhetischen Konzept stehen.
Das ist das Wesen einer Konvention.
Und wie Shop richtig schreibt ändern sich diese.
Eigentlich verstehe ich die Diskussion nicht. Es ändert sich eben nur die Konvention in der breiten Masse, aber nicht das ästhetische Konzept. Das bedeutet auf gut deutsch, keiner schaut einen mehr schief an, wenn man in Badehose und Hawaii-Hemd zur Arbeit geht. Es sieht halt nur besch...eiden aus, ist aber eine tolerierte ästhetische Unhöflichkeit, etwa wie auf den Gehsteig spucken. Ähnliches gilt bzgl. der gesellschaftlichen Toleranz (natürlich in abgeschwächter Form :) ) für das Weglassen der Krawatte zum Anzug. Niemand behauptet, dass es besser aussieht, es weicht nur den Bekleidungskodex zugunsten einer gefühlten persönlichen Bequemlichkeit auf. Nach wie vor ist aber die Krawatte zum Anzug eine ohne weiteres akzeptierte Bekleidungsform, selbst bei Hawaii-Hemdträgern, nur eben nicht zum Selbertragen. :)

Das ist doch die neue Freiheit: Jeder kann tragen, was er will, auf Basis seines eigenen ästhetischen Anspruchs. Das konnte er natürlich schon immer, er wurde nur ggfs. explizit dafür gesellschaftlich sanktioniert, wenn er nicht trug, was von ihm erwartet wurde. Heute wird nichts erwartet, also darf man erst recht Krawatte zum Anzug tragen. Die Frage ist also eigentlich nicht, ob man die Krawatte zum Anzug weglassen kann, sondern warum man das tun sollte. Und die Antwort kann für jemanden, der sich für die Ästhetik der gehobenen Herrenbekleidung interessiert und das Konzept der Krawatte im traditionellen Outfit versteht, nicht lauten: Weil es viele Gleichgültige, Bequeme und Unwissende auch so halten oder gerne so halten möchten, aber sich noch nicht trauen. Wir orientieren uns hier doch schließlich an unserem eigenen Anspruch und nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner, um bloß nicht aufzufallen, oder doch? :)
 
Wir orientieren uns hier doch schließlich an unserem eigenen Anspruch und nicht am kleinsten gemeinsamen Nenner, um bloß nicht aufzufallen, oder doch? :)

Anzug + Oberhemd + Krawatte ist doch der kleinste gemeinsame Nenner, um bloß nicht aufzufallen ? :p

Zumindest in dem formulierten Kontext der Begrifflichkeiten formell, Geschäftsumfeld, breite Masse gilt dieser doch weitgehend als sicher ?

Wenn es um ästhetische Konzepte geht, steht meiner Meinung nach aber die Differenzierung anhand der Details im Vordergrund.
 
Und die Antwort kann für jemanden, der sich für die Ästhetik der gehobenen Herrenbekleidung interessiert und das Konzept der Krawatte im traditionellen Outfit versteht, nicht lauten: Weil es viele Gleichgültige, Bequeme und Unwissende auch so halten oder gerne so halten möchten, aber sich noch nicht trauen.

Das ist nur zum Teil richtig:
In meiner Branche (Bühne/Media) und ich vermute in einigen anderen auch, ist es mittlerweile so etwas von unüblich geworden Krawatte zu tragen, dass es auffällt, wenn es jemand tut.
Vor diesem Hintergrund fragen sich manche, selbst wenn sie die Ästhetik gutheißen, was Sie mit dem Tragen der Krawatte ausdrücken.
Im Zweifel nämlich zu große Förmlichkeit oder übermäßiges Herausputzen ähnlich dem Eindruck den mann sonst mit dem EST vielleicht erweckt.
Beides ist halt manchmal kritisch.

Positiv ist vielleicht, dass man dann auch überzeugt ist von dem was man trägt und nicht einfach nur irgendetwas umbindet, weil man halt muss.
 
Anzug + Oberhemd + Krawatte ist doch der kleinste gemeinsame Nenner, um bloß nicht aufzufallen ? :p

Zumindest in dem formulierten Kontext der Begrifflichkeiten formell, Geschäftsumfeld, breite Masse gilt dieser doch weitgehend als sicher ?
Nur in gehobenen beruflichen Kreisen, in denen sowieso niemand darüber nachdenken würde, die Krawatte zum Anzug wegzulassen. Wenn dieser Kontext so normal wäre, würden wir hier ja gar nicht darüber reden. Mein Eindruck ist eher, dass es eine ganze Reihe von Leuten gibt, die sich irgendwie zur Krawatte zum Anzug gezwungen sehen, aber gleichzeitig auch als gut gekleidet gelten wollen. Deshalb versuchen sie sich dieses gefühlten Zwangs elegant zu entledigen, indem sie das kastrierte Outfit ohne Krawatte schön reden. :)

Das ist nur zum Teil richtig:
In meiner Branche (Bühne/Media) und ich vermute in einigen anderen auch, ist es mittlerweile so etwas von unüblich geworden Krawatte zu tragen, dass es auffällt, wenn es jemand tut.

Vor diesem Hintergrund fragen sich manche, selbst wenn sie die Ästhetik gutheißen, was Sie mit dem Tragen der Krawatte ausdrücken.
Im Zweifel nämlich zu große Förmlichkeit oder übermäßiges Herausputzen ähnlich dem Eindruck den mann sonst mit dem EST vielleicht erweckt.
Beides ist halt manchmal kritisch.
Ein Einstecktuch ist wirklich ungewöhnlich, weil es über Jahrzehnte im gesellschaftlichen Alltag nahezu komplett verschwunden war und erst in jüngster Zeit wieder vermehrt getragen wurde. Die Krawatte zum Anzug sieht man hingegen zigfach in jeder TV-Nachrichtensendung. Das ist also nach wie vor etwas Alltägliches für jedermann, auch wenn man es selber nicht trägt.

Ich arbeite in der IT. Keine Branche hat mehr unaussprechliche Kleidungsgewohnheiten und doch funktioniert Anzug + Krawatte wunderbar. Man muss es nur ganz selbstverständlich und ohne Brimborium tragen. Ich kann mir nach wie vor kein normales berufliches Büroumfeld vorstellen, in dem man keinen Anzug ordnungsgemäß tragen könnte, wenn man ihn denn wirklich selber tragen will.

Positiv ist vielleicht, dass man dann auch überzeugt ist von dem was man trägt und nicht einfach nur irgendetwas umbindet, weil man halt muss.
Das ist das, was ich mit der persönlichen Authentizität meine. Wenn man selber nicht überzeugend in seinem Auftreten ist, weil man sich nicht richtig wohl in seiner (Anzugs-)Haut fühlt, überträgt sich der Eindruck von aufgezwungener Förmlichkeit auf den Gesprächspartner. Und dann kommt man auf so seltsame Ideen wie die Krawatte zum Anzug wegzulassen, statt einfach insgesamt ein lässigeres Outfit, z.B. mit Sportsakko und Hose ohne Krawatte, zu wählen, das dann natürlich wieder in sich stimmig sein kann, wenn man weiß, was man tut. Es ist nur eben insgesamt weniger formell, damit muss man dann auch einfach mal leben, denn das ist es ja, was man letztendlich auch wollte.
 
Der Schwerpunkt Deiner Ausführungen liegt weiterhin auf dem Beruflichen und dem geschäftlichen Alltag, daher wohl diese argumentative Krawatten-Konstruktion -
die Eingangsfrage war zwar hinsichtlich des beruflichen Umfelds gestellt, aber die Diskussion scheint inzwischen etwas generalisiert zu sein ?


Ich spreche der Krawatte nicht mehr Bedeutung zu als dem Anzug. Aber auch nicht weniger.
Ich spreche hingegen der Krawatte eine deutlich untergeordnete Bedeutung zu.
Wenn man Anzug und Kombination schlichtweg als Rahmen begreift, ergeben sich vielleicht weniger Gedanken bezüglich "Bequemlichkeit" oder gar "Outfit-Kastration" in Bezug zu dem Krawatten-Detail ?

Wenn zum Anzug oder zur Kombination keine Krawatte getragen wird, sondern ein offenes Hemd, Krawattenschal, Schleife, Rollkragenpullover usw.,
sollten meiner Meinung nach daher keine ästhetisch-konzeptuellen Phantomschmerzen auftreten, da es wie gesagt, auf die Details und deren Zusammenspiel ankommt.

Ein Gleichnis:
Man nehme als Beispiel einen Anzug/eine Kombination, den man samstags morgens ein paar Stunden in der Kanzlei mit Krawatte trägt, danach Wechsel zum Krawattenschal für den Markteinkauf und kleines Mittagessen mit Madame, später geht es dann noch mit gebundener Schleife in den Kurpark zum Jazz-NachmittagsSchoppen, bevor abends der Salsa-Einführungskurs nach mindestens zwei geöffneten Hemdknöpfen verlangt und danach zur Vernissage auf einen Cashmere-Rollkragenpullover umgerüstet wird.
Zu nächtlicher Stunde reißt man (oder lässt reißen) dann das ästhetische AnzugKombinationsKonzept vom Leib, um -
es auf dem Balkon zum Auslüften hinzuhängen. ;)
 
Ich kann mir nach wie vor kein normales berufliches Büroumfeld vorstellen, in dem man keinen Anzug ordnungsgemäß tragen könnte, wenn man ihn denn wirklich selber tragen will.

Tragen kann man ihn sicher. (Ist das nicht sogar eines dieser Grundgesetze? -> Freie Entfaltung und so) Die Frage ist ob man sich durch die ersten 2 Monate durchkämpfen will, wo man andauernd gefragt wird, wieso man denn nun jetzt gerade schon wieder einen Anzug trägt.
Aber wie gesagt, nach ca. 2 Monaten haben auch die langsamen Mitmenschen kapiert, dass sie einen wohl nicht mehr in Jeans und T-Shirt sehen werden. Dann muss man sich nur noch gelegentlich mit Neuzugängen im Bekanntenkreis rumschlagen.
 
Hallo
Die Frage ist ob man sich durch die ersten 2 Monate durchkämpfen will, wo man andauernd gefragt wird, wieso man denn nun jetzt gerade schon wieder einen Anzug trägt.
Kann ich bestätigen;)
In meiner neuen Arbeitsstelle bin ich die ersten Wochen auch öfters gefragt worden wieso ich denn so einen altmodischen Anzug trag, und nicht einfach hemd und Hose. Inzwischen hat sich das allerdings gelegt, und ist höchstens noch für einen Scherz unter Kollegen gut. Allerdings muss ich dazu sagen dass es durchaus Betriebe gibt - und ich rede nicht von Werkstätten oder Jahrmärkten - wo man im Büro im Anzug mehr als nur schief angeschaut wird.
Gruß
Marco
 
Ein Gleichnis:
Man nehme als Beispiel einen Anzug/eine Kombination, den man samstags morgens ein paar Stunden in der Kanzlei mit Krawatte trägt, danach Wechsel zum Krawattenschal für den Markteinkauf und kleines Mittagessen mit Madame, später geht es dann noch mit gebundener Schleife in den Kurpark zum Jazz-NachmittagsSchoppen, bevor abends der Salsa-Einführungskurs nach mindestens zwei geöffneten Hemdknöpfen verlangt und danach zur Vernissage auf einen Cashmere-Rollkragenpullover umgerüstet wird.
Zu nächtlicher Stunde reißt man (oder lässt reißen) dann das ästhetische AnzugKombinationsKonzept vom Leib, um -
es auf dem Balkon zum Auslüften hinzuhängen. ;)
Ich erkenne mich wieder. :) Bis auf die Tatsache, dass ich für einen solchen Tag - ein wenig Sonne und ordentliche Temperaturen vorausgesetzt - einen eher legeren dunkelblauen Anzug aus gröberem Wolle-Leinen-Gemisch mit einem hellblau-gemusterten Button-Down-Hemd, oberster Knopf offen, ohne Krawatte, vielleicht mit einem passenden Einstecktuch, wählen würde. Dann spare ich mir den häufigen Halsbekleidungswechsel. ;)

Aber einen typischen Businessanzug (dunkel, dezent, Nadelstreifen, Woll-Kammgarn) kann ich mir ohne Krawatte nicht vorstellen, das ist für mich ein klarer Stilbruch. Auch wenn er nicht im beruflichen Umfeld getragen wird. Je weniger formell der Anzug wirkt, desto eher funktioniert für mich auch das Weglassen der Krawatte. Interessanterweise beobachte ich aber diese Auslassung ausschließlich bei Trägern schlecht sitzender anthrazitfarbiger Anzüge mit weißem Hemd, die sich in völliger Ahnungslosigkeit für viel zu cool für eine Krawatte halten. :)

In meiner neuen Arbeitsstelle bin ich die ersten Wochen auch öfters gefragt worden wieso ich denn so einen altmodischen Anzug trag, und nicht einfach hemd und Hose.
Das hat einen einfachen Grund, im englischen nennt man das Peer Pressure. Die neuen Kollegen fühlen sich unterschwellig bedroht, dass sich der Neue nicht anpassen und vielleicht gar versuchen könnte, sie auszustechen. Deswegen wird ein neuer Vorgesetzter dieses Problem auch nicht haben, wenn er besser gekleidet ist als seine Mitarbeiter. Im Grunde hat das mit der Kleidung an sich gar nichts zu tun.
 
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